»Sag mal, Oma, womit habt ihr euch eigentlich früher die Zähne geputzt?« – »Na, mit einer Zahnbürste aus Holz«, sagte meine Oma in selbstverständlichem Ton. Ich war überrascht.
Für meine Generation ist Plastik vollkommen normal. Wir sind damit aufgewachsen. Vom Babybreiteller bis zu Omas Kittelschürze – alles war aus Kunststoff. Schließlich ist Kunststoff günstig und super vielseitig. Da ist nur ein Problem: Das Zeug zersetzt sich nicht.
Tonnenweise aufgeriebene Plastiküberreste, sogenannte Mikroplastik, schwimmen neben anderem Kunststoffmüll im Meer herum. Bestimmt hast Du die verheerenden Bilder von, dank der Strömung, zu Bergen aufgetürmtem Plastikmüll schon einmal gesehen. Oder die fiesen Folgen von achtlos weggeworfenen Feuerzeugen, die ihren Weg in den Magen von Vögeln gefunden haben. Fest steht: Die Menschen sind seit dem Plastikboom Mitte des 20. Jahrhunderts viel zu achtlos mit dem haltbaren Material umgegangen.
Mittlerweile werden Maßnahmen ergriffen. Einige Supermärkte haben bereits Plastiktüten ganz verbannt und verkaufen stattdessen Papiertüten und Stoffbeutel für den Transport Deines Einkaufs. Ohne Zweifel, damit wir das große Problem in den Griff bekommen, ist die Industrie gefragt. Doch auch jeder von uns kann seinen Beitrag leisten und damit nicht zuletzt die Wirtschaft zum Nachahmen anstiften. Denn sind wir mal ehrlich, Supermärkte springen nicht aus Nettigkeit auf den Plastikfrei-Zug auf, sondern weil immer mehr Menschen das fordern und so leben.
Denn solange Plastikverpackungen nicht gesetzlich verboten werden, kann nur er [der Verbraucher] das Produkt verändern. Mach dir eins klar: Du als Verbraucher kaufst ein Produkt nur, wenn es dir gefällt.
Und auch die Politik wird erst tätig, wenn ein Großteil der Wähler und Wählerinnen sie dazu zwingt.
Plastikfrei für Einsteiger – so kannst Du beginnen
Kürzlich habe ich Christoph Schulzes Buch „Plastikfrei für Einsteiger“* zur Rezension bekommen. Bisher achte ich bereits hier und da darauf, nicht unnötig Plastikmüll zu produzieren. Das Schwierigste hierbei war tatsächlich der Anfang. Während es nur vorausschauendes Denken braucht, um zum Einkaufen einen Beutel mitzunehmen, erfordern andere Maßnahmen zur Plastikmüllvermeidung wesentlich mehr Denkarbeit.
Das liegt vor allem daran, dass der Kunststoff so normal und allgegenwärtig ist. Wir glauben er ist geradezu alternativlos, bis wir über clevere Alternativen stolpern. Ich hatte einen ähnlichen Aha-Moment wie der Autor, als ich realisierte: Wow, es gibt sowas wie Holzzahnbürsten! (siehe oben)
Aus Erzählungen meiner Eltern wusste ich, dass ich noch geradeso zur Generation Stoffwindel gehörte. Die Dinger gibt’s heute immer noch. Bequemer ist sicherlich das Aufreißen, Anlegen und Wegwerfen einer Einwegwindel, umweltfreundlicher das Wiederverwenden.
Nicht jeder möchte diesen Aufwand betreiben, und das verstehe ich auch irgendwie. Trotzdem brachten mich die Stoffwindeln auf die Idee: Wenn es das für Babys gibt, wie sieht’s dann mit Stoffbinden für Frauen aus? Ja, auch die gibt es und ich bin längst umgestiegen*. Ein großer Vorteil, wenn man von den Pros für die Umwelt einmal absieht: Stoffbinden sind auf Dauer billiger. Ich persönlich finde sie auch angenehmer auf der Haut.
Wenn man so weit ist, hat man wirklich schon viel erreicht. Die Frage ist also: Wie plastikfrei möchtest Du leben?
Ist plastikfrei wirklich das Ziel?
Selbst wer auf die praktischen Einwegwindeln und abgepackten Damenbinden nicht verzichten möchte, kann etwas gegen die Müllberge für Jahrtausende tun. Zum Beispiel den Müll richtig entsorgen. Gebrauchte Windeln und Binden aus dem Wegwurfsortiment gehören trotz ihres hohen Kunststoffanteils nicht in die gelbe Tonne, sondern in den Restmüll. Umgekehrt kommen Joghurtbecher in die gelbe Tonne – am besten ungestapelt, weil sie so besser recycelt werden können.
Grundsätzlich finde ich, wie der Autor übrigens selbst, den Begriff „plastikfrei“ ein bisschen problematisch. Das klingt immer nach „entweder … oder …“, „alles oder nichts“, „schwarz oder weiß“. So ein Denken zwingt uns eine Entscheidung ab und klingt immer nach Verzicht. Das ist aufwändig, anstrengend … und schon steht der innere Schweinehund auf der Matte und kläfft: Darauf habe ich keinen Bock.
Wir versuchen nicht, plastikfrei zu leben, weil Plastik grundsätzlich schlecht ist, sondern weil wir lernen müssen, richtig damit umzugehen.
Für den Anfang fände ich daher einen Begriff wie „plastikarm leben“ treffender. Betroffene von Histaminintoleranz können damit sowieso gleich etwas anfangen. Histaminarm, das kennen wir. Tatsächlich braucht unser Körper Histamin. Ganz ohne geht nicht. Nur zu viel ist eben auch unerträglich. Jetzt brauchen wir Plastik nicht unbedingt, aber das wasserabweisende Material in allen möglichen Flexibilitätsstufen hat in gewissen Bereichen eben seine Vorteile. Man denke nur an den Operationssaal in Krankenhäusern mit Einweghandschuhen und allem Drum und Dran. Genauso finde ich wetterfeste Funktionskleidung durchaus praktisch. Nur im Essen oder auf der Haut brauche ich kein Plastik.
Außerdem hast Du bestimmt schon einige Utensilien zuhause, die aus Plastik bestehen. Sollst Du die nun einfach wegschmeißen? Das wäre ja Quatsch. Dann könnte ich diesen Blog-Artikel (auf meiner Plastiktastatur) zum Beispiel nicht schreiben.
Um den Einstieg zu erleichtern, solltest Du dort ansetzen, wo Du am meisten Wegwerfplastik produzierst. Die Einkaufstüten und Zahnbürsten* habe ich bereits erwähnt. Und die Joghurtbecher auch. Es gibt ja auch Joghurt im Glas. Dann sind da noch ganz andere Verbrauchsgegenstände, die in der Regel aus Plastik bestehen. Einwegrasierer, Strohhalme und – Convenience Food. Was Letzteres angeht, macht Dir wahrscheinlich ohnehin die Histaminintoleranz einen Strich durch die Rechnung. Fertiggerichte gehen gar nicht, schon allein weil da oft so viel Zusatzstoffe drin sind.
Plastikarm leben – eine Chance, auch bei Histaminintoleranz
Das Eindämmen von Plastikmüll birgt Vorteile, insbesondere für Betroffene von Histaminintoleranz.
- Plastikfreie Alternativprodukte sind BPA-frei und damit hormonell nicht wirksam
- Wer statt Fertiggerichte zu kaufen, selbst kocht (auch unterwegs – Stichwort: Meal Prep), weiß was drin ist
Christoph Schulz, der Gründer von CareElite, liefert in seinem Buch zahlreiche Tipps, wie und wo Du umdenken kannst, um bewusster mit Plastik umzugehen, das ja aus einem begrenzte Rohstoff – Erdöl – gewonnen wird. Übersichtliche Fragebögen fassen einen Teil jedes Kapitels nochmal zusammen und sorgen dafür, dass Du das „Um-die-Ecke-Gedachte“ gleich verinnerlichst. Dabei wirst Du merken, dass vieles ziemlich Oldschool ist und eigentlich nicht neu. Denn was hat denn Oma im (fast) plastikfreien Zeitalter gemacht?
Die Holzzahnbürste ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass wir mit dem plastikfreien Lebensstil einen wichtigen Schritt zurück zu unseren Wurzeln machen, um dann wieder einige feste, bewusste Schritte nach vorn zu gehen.
Weitere Ideen für Deinen Einstieg in einen bewussteren Umgang mit Plastik
- Hast Du einen Unverpackt-Laden in Deiner Nähe?
- Nö? Dann probier’s mal auf dem Wochenmarkt oder bei der türkischen Gemüsehandlung ums Eck.
- Weniger wegwerfen: Wie sieht es mit Repair-Cafés aus?
- Sag einfach Nein, wenn Dich der Barkeeper das nächste Mal fragt, ob Du zu Deinem Drink einen Strohhalm möchtest.
- Du hast ein Smartphone? Informiere Dich über Apps wie ReplacePlastic, Refill, Regio-App und Too Good To Go.
- Kaufe (und verkaufe) mehr second hand.
Was mir am Buch gefällt
Viele Tipps sind tatsächlich einfach umzusetzen und gehen, wie vom Autor versprochen, schnell in Fleisch und Blut über. Der clevere Kapitelaufbau sorgt für einen übersichtlichen Einstieg, ohne Dich gleich auf komplett plastikfrei bekehren zu wollen. Überhaupt, kommt das Buch prima ohne erhobenen Zeigefinger aus, sodass die Umstellung Spaß macht.
Ein Problem, das ich schon länger habe: Mülltüten ersetzen. Auch hierfür hat Christoph Schulz Ideen parat. Mit einer Faltanleitung zeigt er, wie man den Mülleimer so mit Zeitungspapier auskleiden kann, dass trotzdem nichts daneben geht. Das muss ich mal ausprobieren. Dann werde ich auch diesen Wegwerfartikel los.
Außerdem liefert Christoph Schulz praktische und umweltfreundliche Alternativen für Alltagsprodukte, von denen wir womöglich dachten, dass es sie nur aus Plastik gibt. Ja, es gibt Wasserkocher aus Borosilikatglas*. Hinzu kommen hilfreiche Apps – super für alle, die ein Smartphone haben, und es sinnvoll nutzen wollen. Richtig toll: Rezepte zum Selbermachen von Zahnpasta, Spülmittel & Co. Wow, Du kannst aus Efeu ganz einfach selbst Spüli machen!
Links zu Projekten und Organisationen, wo man sich engagieren kann, aber natürlich nicht muss, runden das Ganze ab.
Was mir nicht so gut gefällt
Ein paar Tipps im Buch verursachen mir dann aber doch Falten auf der Stirn, z. B. als Alternative zum Einwegrasierer empfiehlt der Autor neben dem Rasierhobel* noch eine Option: das Veröden der Haarwurzeln mittels Lasertherapie, ohne hierbei die Risiken einer solchen Behandlung auch nur anzudeuten.
Die Windelfrei-Methode als weitere Alternative neben den waschbaren Stoffwindeln. Das klappt wahrscheinlich nur bei Helikopter-Eltern, die rund um die Uhr zuhause sind, und ist damit alles andere als alltagstauglich. Ähnlich problematisch: Spielsachen ausleihen?! Irgendwie nicht so hygienisch, vor allem wenn man bedenkt, dass Kinder Spielsachen gerne mal in den Mund nehmen. Umgekehrt finde ich Nachbarschaftsportale, zum Beispiel zum Ausleihen von Werkzeugen, sinnvoll. Aber die Bohrmaschine nehme ich ja in aller Regel auch nicht in den Mund 😉
Zusammenfassung:
- “Plastikfrei für Einsteiger”* von Christoph Schulz
- Tipps zum persönlichen Eindämmen von Plastikmüll, Rezepte für Naturkosmetik und mehr
- empf. VK-Preis: € 14,99
- Taschenbuch, erschienen Februar 2019
- ISBN: 978-3-86882-993-8
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Ich bedanke mich beim mvg-Verlag für das gratis zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar. Die gemachten Angaben sind weder vom Verlag noch vom Autor oder anderen beeinflusst worden und entsprechen meinen eigenen Ansichten.